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Who the Fuck Is Pigmento?
Spirit of a Dual Nature

Pointierte Erzählungen, Anekdoten statt Fakten

 

Kapitel 10 "Filterkuchen"

In der Müllverbrennungsanlage Wien-Spittelau wurde ausschließlich Restmüll verbrannt. Nach der Müllverbrennung blieben dann Schlacke, Asche und Filterkuchen übrig. Dieser giftige Rest wurde an diverse Deponien im Ausland transportiert, wie die genehmigte Sonderabfall Deponie in Großbritannien. Die Entsorgung des dioxinhaltigen Filterkuchens war sehr teuer und wurde nach neuen Wegen der Verwertung gesucht. Wie es der Zufall so wollte, waren mein Freund Tino und ich, zur richtigen Zeit, am richtigen Ort. Wir saßen eines Abends am Tresen einer kleinen Prager Spelunke und tranken reichlich frisch gezapftes Bier. Neben uns saß ein älterer Herr, im grauen Anzug. Seine Krawatte sagte uns, wer er sei – falsch gedacht. In ein Selbstgespräch vertieft, wirkte er eher angeschlagen, würdigte uns keines Blickes, trank abwechselnd Bier und Becherovka. Ein Verrückter? Ein Spinner? Ein Säufer? Mein Freund und ich hatten auch schon einige Bierchen intus. Spontan unterbrach ich den inneren Monolog des Unbekannten und lud ihn auf ein Schnäpschen ein. Er nahm die Einladung dankend an und begann plötzlich eine „Schimpftirade“ gegen die ehemaligen Prager „Machthaberer“. In seinem langatmigen, aggressiven Wortschwall waren auch einige sehr interessante Bemerkungen. Er sei ein anerkannter Chemiker und Ökologiebeauftragter des tschechischen Präsidenten und habe das Patent für die ökologisch unbedenkliche Entsorgung des Filterkuchens. Für entsprechende Tantiemen, sei er bereit, Patent sowie Importgenehmigung zur Verfügung zu stellen. Tino sah mich an und seine Augen funkelten voller Freude. Wir hatten die gleichen Gedanken. Knapp vor Mitternacht verabschiedete sich der unbekannte „Märchenonkel“, gab uns seine Visitenkarte und verschwand im Dunkel der Nacht. Wir beide kippten noch einige Bierchen und dachten an ein Riesengeschäft, würde nicht alles Gesprochene, bloß ein diffuses Fantasiegebilde im Hirn eines netten, alten Säufers sein. Zurück in Wien, erzählte ich meinem Cousin, der aus Prag stammte, diese „besoffene G´schicht“ und zeigte ihm auch die Visitenkarte des „Unbekannten“. Er sah mich staunend an und meinte: „Der Unbekannte sei kein Unbekannter, er sei einer der führenden Chemiker des Landes und wirklich der Ökologiebeauftragte des tschechischen Präsidenten. Also zurück nach Prag. Vorher fanden mehrere zähe Verhandlungsrunden mit den Entsorgungsbetrieben Simmering (EbS) statt. Die (EbS) war mit der Entsorgung des dioxinhaltigen Filterkuchens befasst, hatte ihre „bevorzugten“ Geschäftspartner und war anfänglich von unserem Geschäftsmodell nicht angetan. Die seinerzeit gängige “vorsorgliche Bestechung“ im Hinblick auf mögliche Amtsgeschäfte wurde noch nicht unter Strafe gestellt. Im Zuge der Verhandlungen trafen wir unseren „Unbekannten“ in Prag und hatten uns mit ihm alsbald arrangiert. Ein sechsstelliger Schillingbetrag hatte unseren neuen „Geschäftspartner“ mehr wie überzeugt. Wir bekamen alle erdenklichen Exklusivrechte, die Importgenehmigung für 40.000 Tonnen dioxinhaltigen Filterkuchens und die schriftliche Zusage, dass nur wir, Tino und ich, als alleinige Partner, die Importgenehmigung erhalten würden. Nun begann die Herkulesarbeit mit den Behörden und Ministerien. Das Einreichen von Unterlagen für den Export des Filterkuchens sollte eine Sisyphusarbeit werden. Ein abschlägiger Bescheid des Umweltministeriums, ließ uns vorerst resignieren. Unser Projekt entsprach nicht den strengen Bestimmungen des österreichischen Luftreinhaltegesetzes, trotz zufriedenstellendem Labor- und Feldexperiment. Durch Indiskretion eines Ministerialbeamten – „Anfütterungsverbot gab´s noch nicht – erfuhren wir von der Doppelgleisigkeit unserer eingereichten Unterlagen. Ein „Mitbewerber“, kein Geringerer als der damalige EbS-Geschäftsführer, hatte bereits an der Verglasung des Filterkuchens experimentiert und wollte sich unser Projekt, die Verwertung des Filterkuchens in der Zementproduktion, salopp gesagt, sichern. Das Erschwindeln der Wahrheit gelang nicht. Er hatte mit der Handschlagqualität unseres tschechischen Partners nicht gerechnet. Alles schien im Sande zu verlaufen. Eines Tages erhielt ich den Anruf des Generaldirektors der Wiener Holding. Die EbS, ein Betrieb der Wiener Holding, war eine der Säulen der wirtschaftlichen Tätigkeit der Wiener Stadtverwaltung. Also auf in die Höhle des Löwen, der Deal unseres Lebens bekam wieder Konturen. Rein in den Tweed-Pfeffer & Salz Maßanzug, handgemachte Schuhe – bekanntlich machen Kleider Leute. Die Gewährung des Erscheinens vor dem Generaldirektor der Wiener Holding hatte Gutes signalisiert. Nach kurzen Begrüßungsfloskeln kam er sogleich zur Sache. Wir könnten gemeinsam, Dank seiner Stellung und seiner exzellenten Verbindungen zum Umweltministerium, den Filterkuchen-Deal in absehbarer Zeit verwirklichen. Was bedeutet wir, hatte ich auf den Lippen. Er kam mir aber zuvor und nannte ein Speditions- und Transportgewerbe Unternehmen, das auf den Transport von Kunstgegenständen, Antiquitäten, Bildern, etc. spezialisiert sei. Ich hatte keine andere Wahl, als zuzustimmen. Wir fanden kurzerhand einen Kompromiss, den „Kuchen“ angemessen zu teilen. Im Hand umdrehen lagen sämtliche erforderlichen Exportgenehmigungen auf meinem Schreibtisch. Da staunt der Laie. Als erste Filterkuchen-Tranche, wurden versuchsweise 1.000 Tonnen von der EbS an ein Zementwerk, in der Nähe von Prag angeliefert. Alles lief in geordneten Bahnen. Das große Geschäft schien Wirklichkeit zu werden. Ein jähes Ende ließ nicht lange auf sich warten. Eine Prager Abendzeitung berichtete von einem stadtnahen Zementwerk, dass die Prager Luft mit dioxinhaltigem Filterkuchen aus Österreich vergifte. Eine gezielte Kampagne der bisherigen Wiener Filterkuchen-Entsorger und den Prager „Grünen“. Aus der Traum von großem Geld, von über 120 Millionen Schilling Jahresumsatz. Einer der reichsten Österreicher durfte sich über die zurück erlangte Filterkuchen-Entsorgung nach Großbritannien freuen. En passant hatte er auch mich „entsorgt“. Fazit: „Schuster, bleib´ bei deinen Leisten!“

 

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Kapitel 10

 

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