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Who the Fuck Is Pigmento?
Spirit of a Dual Nature

Pointierte Erzählungen, Anekdoten statt Fakten

 

Kapitel 5 Aktivist der BAS?

Anstrengendes, kräfteraubendes Handballtraining erfordert anschließend rasche Energiezufuhr in Form von „Hopfenblütentee“ zur raschen Regenerierung und Erholung der erschöpften Spieler. Wir vier Freunde begaben uns, wie üblich nach dem Training in ein nahe gelegenes Gasthaus. Nach einigen Runden des erfrischenden Gerstensaftes waren wir vier völlig entspannt und unsere Batterien aufgeladen. Was kostet die Welt? Wir wollten ganz einfach das Leben auf Kosten unserer Eltern genießen. Nach reichlichem Bierkonsum beschlossen wir kurzerhand in Richtung Italien aufzubrechen. Tags darauf wurde ein fahrbarer Untersatz gesucht und gekauft. Ein alter, verrosteter, viertüriger Renault 4CV – spöttisch „Crèmeschnittchen“ genannt – wechselte den Besitzer. Ein günstiger Kauf dachten wir und dankten noch höflich dem Verkäufer, der eilenden Schrittes verschwand. Das Gefährt wurde gestartet und wir warteten einfach was passieren würde. Der wassergekühlte 4-Zylinder-Reihenmotor, aus 741 cm³ Hubraum und sagenhaften 21 PS begann laut zu rumoren. Autofahren bringt Freude, aber nicht selten auch Sorgen. Die Farbe des Qualms aus dem Auspuff hätte uns Aufschluss über den Zustand des Motors geben müssen. Eine günstige Autoversicherung musste noch schnell her und dann ab in die weite Welt. Mit dem Dreiganggetriebe hätten wir eine Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h schaffen müssen. Vier Jungs und Reisegepäck auf der Dachgalerie. Viel zu viel Ballast, eine wahre Herausforderung an einen PS-schwachen Motor. Wir hatten Wien in Richtung Süden verlassen. Die ersten gröberen Schwierigkeiten begannen bei der Überquerung des Semmering Passes. Weiß-bläulicher Rauch aus dem Auspuff und keine Kompression bedeutet nichts Gutes – vermutlich eine kaputte Zylinderkopfdichtung. Alle aussteigen, Wasser und Öl nachfüllen, in Folge immer wieder das gleiche Prozedere. Also ich fuhr alleine, ballastfrei bis zum Semmering Pass. Meine Freunde versuchten sich zwischenzeitig als Autostopper. Unser „Crèmeschnittchen“ war ständig hungrig und durstig nach Benzin, Wasser und Öl. Ein Auto, eine Reise, eine vollständige Mahlzeit – wenn einer eine Reise tut, so kann er was erzählen. Das Ziel unserer ersten Etappe hatten wir mit vielen Hürden genommen – Chioggia eine Stadt in der italienischen Region Venetien und Seehafen im Süden der Lagune von Venedig. Alle vorhergehenden Strapazen hatten wir im Nu vergessen. Viel Spaß, fröhlich sein an nichts denken, sich treiben lassen. Trotz tollem Treiben und endlosem Spaß war nach einigen Tagen Ortswechsel angesagt. Jugendlicher Leichtsinn und immer wieder Neues erleben wollen, hatten uns nach endloser Fahrt nach Alassio verschlagen – einen Ort an der ligurischen Küste. „Crèmeschnittchen“ wollte überhaupt nicht mehr. Mit Wehmut schickten wir es zwischen dem Capo Mele und dem Capo Santa Croce, einen steilen Abhang runter ins Meer baden. Ein fataler Schritt, wie es sich später herausstellte. Alsbald gingen uns auch die finanziellen Vorräte zu Ende. Kein Zaster-Nachschub von zu Hause. Wir traten also die Heimreise per gestrecktem Daumen an, einer Form des sehr umweltfreundlichen Reisens – durch das Trampen werden eben vorhandene Kapazitäten besser genutzt. Wir splitteten uns auf, um schneller vorwärts zu kommen. Treffpunkte wurden vereinbart. Der erste Tag brachte uns dem Reiseziel nicht wirklich näher. Wir trafen uns alle bereits in Albenga, nicht weit weg von Alassio. Mittellos und fern der Heimat wird man erfinderisch. Wir beschlossen am Bahnhof von Albenga zu übernachten. Etwas ungemütlich aber kostengünstig. Zur späten Stunde wurden wir von einer spezialisierten Einheit der Carabinieri geweckt und perlustriert. Unsere Koordinaten wurden minutiös aufgenommen und wir durften weiter pennen. In den nächsten Tagen sollten wir an die 800 km „hitchhiken“. Wir lernten schnell rascher vorwärts zu kommen. Tankstellen, Autobahnraststätten waren passende Gelegenheiten, um Fahrer der Kraftfahrzeuge direkt anzusprechen. Oft stellten wir uns die Frage, ob es nicht zu riskant ist, sich zu jemandem ins Auto zu setzen, dessen Fahrkönnen man nicht kennt. Wir hatten aber keine andere Wahl. Nach mehreren Tagesetappen erreichten wir Wien. Am darauf folgenden Tag ging ich sofort zur Versicherung, um unser versenktes „Crèmeschnittchen“ abzumelden. Zur Abmeldung verlangte man von mir die mit versenkten Autokennzeichen. Eine endlose Tortur zwischen der Versicherung, Polizei und Italienischer Botschaft fand ein gutes Ende. Meine Freunde und ich konnten aufatmen. Einige Jahre später fuhr ich mit meiner ersten Angetrauten und meinen Eltern nach Grado, in eine sehr vornehme Absteige. Als wir alle am dritten Tag nach unserer Ankunft in Grado, vom Strand ins Hotel zurück kamen, wurden wir sofort vom Hotelmanager zur Seite genommen. „Es gibt Stress mit der Polizei“, meinte er zu meinen sprachlosen Eltern. „Zwei Polizeibeamte in Zivil warten auf ihren Sohn vor dem Hotel und wollen ihn verhaften“. Er meinte, dass wir auch ohne Meldezettel einchecken hätten können, wenn es Probleme gibt. Ich dachte mir, so ein Schwachsinn und ging auf die Polizisten zu, die sich mit irgendwelchen Gazetten tollpatschig zu tarnen versuchten. Sie nahmen mich sogleich wortlos in die Mitte und ab aufs Kommissariat. Meine Angetraute und meine Eltern folgten fassungslos hinterher. Auf der Commandatura wurde ich einem Rang hohen Beamten vorgeführt. Auf seinem Arbeitstisch bemerkte ich einen Aktenstapel. Mit Entsetzen las ich meinen Namen und die Namen meiner drei Freunde, die seinerzeit gemeinsam mit mir und „Crèmeschnittchen“, die Ligurische Küste bereisten. Ein seltsames Verhör, im Beisein meiner Familie begann. Ich dachte vorerst, dass es sich um das versenkte „Crèmeschnittchen“ handle. Weitaus gefehlt. Ich wurde vollen Ernstes befragt, ob meine Freunde und ich der Gruppe des separatistischen Befreiungsausschusses Südtirol (BAS) um Norbert Burger angehören. Zum Zeitpunkt unseres Urlaubens in der Region Alassio/Albenga wurden nämlich mehrere Sprengstoffanschläge verübt und man müsse alle Verdachtsmomente überprüfen. Ich dachte, ich sei in einem falschen Film. Obendrein mischte sich mein besorgter Vater recht unglücklich in den Monolog des Dottore ein und meinte etwas zu meiner Verteidigung sagen zu müssen. „Mit Verlaub werter Herr Doktor, sie müssen ja wissen, das waren, wenn überhaupt, bloß „Lausbubenstreiche“. Sein vis-à-vis wurde hellhörig. Die Befragung begann von vorne und endete für mich erwartungsgemäß erfreulich. Nach der Unterzeichnung des Aufnahmeprotokolls haben wir alle durchgeatmet. Die restlichen Urlaustage in Grado genossen wir umso mehr.

 

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Kapitel 5

 

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